Predigt vom Reformationstag - Kreuzkirche Lüneburg

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Predigt vom Reformationstag

Gottesdienst
Reformationstag 2018

Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich. (Joh 14,6)
 
Zum Reformationstag gehört seit 1529 das Lied „Ein feste Burg“. Es ist besonders in schweren Zeiten ein tröstliches und Mut machendes Lied. Die Menschen der Bekennenden Kirche im Dritten Reich werden es vermutlich viel bewusster gesungen haben als wir heute. Denn die Gegnerschaft der Nationalsozialisten gegen Glaube und Kirche war ein scharfer Gegenwind. Einige verloren ihren Beruf und damit die wirtschaftliche Existenz für sich und die Familie, andere sogar ihr Leben … wie z.B. Dietrich Bonhoeffer. „Mit unsrer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren.“ Da blieb nur das Hoffen auf Gott, wie es im Lied ein feste Burg beschrieben wird.
 
Einige Aussagen fühlen sich heute jedoch unpassend an. Dass Gott ein gute Wehr und Waffensei, kann in unserem Jahrzehnt der rechtsnational ausgerichteten Wahrheitsverbiegungen ins Gegenteil verkehrt werden, als sei vom Kampf mit richtigen Waffen die Rede und nicht von einer geistig-geistlichen Auseinandersetzung. Und Konfessionskriege der Geschichte sind uns ja auch noch im Gedächtnis wie z.B. von 1618-1648. Darum müssen wir Lieder unserer Zeit aufgreifen, die sich passend anfühlen für unser heutiges Glaubens- und Lebensverständnis, das gewaltfrei ist. Dies sind z.B. Lieder aus Taizé oder das sog. Neue spirituelle Liedgut. Wir werden solche Lieder heute singen.
 
Reformationsgedenken, hat Landessuperintendent Rathing jüngst auf einer Versammlung von Pastor*innen gesagt, ...Reformationsgedenken darf nicht nur auf Luthers Verdienste oder seine Lieder zurückgreifen, sondern muss vorausweisen in die Zukunft, wenn der Reformationstag als gesetzlicher Feiertag eine zeitgemäße Bedeutung erlangen soll. Er sprach auch bei einer anderen Veranstaltung davon, dass wir den Absolutheitsanspruch an den Nagel hängen müssen, dass das Christentum die einzig denkbare Wahrheit sei. Vielmehr gelte es, mit anderen Religionen im Gespräch zu sein, von ihnen zu lernen und unseren Beitrag zu leisten, dass sie von uns lernen können. Damit werden Bürger*innen in unserem Land erfahren, dass der Reformationstag nicht belanglos ist, sondern hoch aktuell in unsere Zeit hineinspricht. Zum Verständnis von Wahrheit werde ich später noch mehr sagen. Der gesetzte Punkt für diesen Moment ist, dass wir ein Reformationsgedenken nicht mehr nur rückwärtsgewandt auf Luthers Verdienste bezogen feiern können, sondern die Reformation fortschreiben. Dafür gibt es einen reformatorischen Bekenntnissatz: Ecclesia semper reformanda. Zu deutsch: Die Kirche ist stets weiter zu reformieren. Etwas, das wir ja hier in der Kreuzkirche leben … .

Vielleicht mögen Sie jetzt in der Stille Gedanken aufsteigen lassen, was Ihnen heute an Ihrem Glauben besonders wichtig ist, was Sie und Ihre Seele nährt. Oder Sie denken über gar nichts nach und bleiben still mit sich selbst in Kontakt, mit sich selbst in Kontakt im Vertrauen darauf: Gott ist gegenwärtig … hier bei uns … in uns. Und wir können uns ihm hinhalten, z.B. mit dem spirituellen Satz: Du in mir, ich in dir. Beim Einatmen: Du in mir, beim Ausatmen: Ich in dir.
Stille ...
Dass kein Mensch eine absolute Wahrheit aussprechen kann – auch kein gläubiger Mensch -, das hat z.B. der Philosoph Richard David Precht begründet in seinem Buch Wer bin ich und wenn ja, wie viele?. Ich zitiere ihn: „Wie jedes andere Tier, so modelliert sich der Mensch die Welt danach, was seine Sinne und was sein Bewusstsein ihm an Einsichten erlauben. Denn eines ist klar: All unser Erkennen hängt zunächst einmal von unseren Sinnen ab. Was wir nicht hören, nicht sehen, nicht fühlen, nicht schmecken und nicht ertasten können, das nehmen wir auch nicht wahr, und es kommt in unserer Welt nicht vor. Selbst die abstraktesten Dinge müssen wir als Zeichen lesen oder sehen können, um sie uns vorstellen zu können. Für eine völlig objektive Weltsicht bräuchte der Mensch also einen wahrhaft übermenschlichen Sinnesapparat, der das ganze Spektrum möglicher Sinneswahrnehmungen ausschöpft: die Superaugen des Adlers, den kilometerweiten Geruchssinn von Bären, das Seitenliniensystem der Fische, die seismographischen Fähigkeiten einer Schlange usw. Doch all das können Menschen nicht, und eine umfassende objektive Sicht der Dinge kann es deshalb auch nicht geben. Unsere Welt ist niemals die Welt, wie sie 'an sich' ist, ebenso wenig wie jene von Hund und Katze, Vogel oder Käfer. 'Die Welt, mein Sohn', erklärt im Aquarium der Vaterfisch dem Filius, 'ist ein großer Kasten voller Wasser!. (R.D. Precht: Wer bin ich und wenn ja, wie viele? S.27.28.)
 
Schöner und treffender kann man es nicht formulieren, dass es nur meine persönliche und deine persönliche Wahrheit und Glaubenssicht geben kann, niemals aber eine objektive oder absolute.
Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich: Dieser Satz diente in manchen christlichen Kreisen zur Abgrenzung gegenüber anderen Religionen … nach dem Motto: Ihr seid nicht in der Wahrheit, ihr habt die Wahrheit nicht. Ihr Juden nicht, ihr Muslime nicht, ihr Buddhisten nicht, ihr Hinduisten nicht … usw. Ich selbst habe als Jugendlicher diese Meinung vertreten. Aufgenommen habe ich sie durch die Hermannsburger Mission und Evangelisation. Heute bin ich nicht mehr dieser Meinung und ich bedaure, dass ich Menschen mit ihrem anderen persönlichen Glauben verurteilt habe. Der Glaube an Christus ist für mich gleichwohl der Weg zum himmlischen Vater, wie Jesus den Vater vertrauensvoll in seinem gütigen Wesen beschrieben hat. Jesu Geschichten enthalten für mich und mein Leben die Wahrheit, die mich lebendig macht, die mein Leben ausmacht. Aber wenn jemand entscheidet, dass er nicht den Weg finden will zum himmlischen Vater, wie ihn Jesus verkündigt hat, dann geht er einen anderen Weg, um zu seinem Verständnis von Wahrheit und lebendigem Leben zu gelangen. Vielleicht braucht er keinen persönlichen Gott, wie z.B. viele Buddhisten es sagen. Oder sie vertreten andere Gottesbilder, wie die Hinduisten sie entwickelt haben aufgrund ihrer Erfahrungen mit dem Göttlichen. Jede Religion hat ihr eigenes Erkenntnisaquarium, um mit Prechts Bild zu reden. Sie tragen alle zum Gesamtbild bei, wie man wahrhaftig lebt auf dem Weg, den man geht. Und alle Religionen haben auch Vorstellungen entworfen, die kulturell bedingt sind und vielleicht sogar überzogen oder falsch sind. Wir Christen haben z.B. lange den Irrtum begangen, dem paulinischen Satz Autorität zu verleihen: Das Weib schweige in der Gemeinde.Ich erwähne hier um der Kürze willen nur einen Satz, der nicht nur überzogen ist, sondern falsch. Ich könnte mehr Beispiele anführen.1 Etwa: Die Bibel enthalte keine Widersprüche.
 
Aber lassen wir diesen Zusammenhang los und gehen einen Schritt weiter. Es gibt Erkenntnisse in anderen Religionen, die mich auf meinem christlichen Weg weiterbringen, weil sie noch einmal das Gleiche betonen und mich damit bestärken. Nehmen Sie zum Beispiel die buddhistische Hervorhebung der liebenden Güte, mit der sich ein Buddhist im Leben aufstellt. Das ist eine Parallele zur christlichen Nächstenliebe und Selbstliebe. So werde ich in meiner christlichen Haltung durch den Buddhismus bestärkt.
 
Ein weiterer Schritt auf meinem Weg ist, von anderen Religionen etwas zu lernen, das Jesus nicht verkündigt hat. Mir ist die buddhistische Erkenntnis wichtig geworden, dass mein Geist in der Lage ist, meinen Geist zu beobachten, also welche Gedanken, Gefühle und Bilder sich in ihm hervortun. Der Buddhismus schult, wie ich mit meinem Geist umdenken (erwachen) kann. Mein Geist kann meinen Geist bestimmen und lenken, dass ich z.B. falsche Lebenshaltungen aufgebe. Ich bin sehr dankbar für diese buddhistische Lehre und Schulung.

Und wieder ein nächster Schritt ist, dass ich Gläubigen anderer Religionen neue Einsichten schenke. Ich spreche jetzt am Reformationstag bewusst als konfessioneller Lutheraner. Keine christliche Konfession kann so gut wie wir Lutherischen hervorheben: Gott ist gnädig. Ich muss vor und für Gott nichts tun, um seine liebende Güte zu erwirken. Denn Gnade ist ein freies und unverdientes Geschenk. Dieses Gnadenverständnis ist uns allen hier gut bekannt. Aber was heißt es konkret? Gott schenkt sich dir. Du kannst darauf vertrauen: Er ist schon da in dir, bevor du ihn bemerkst. Wenn du still wirst, gibt es Momente, in denen du seine Gegenwart gewahrst. Das Judentum hat dies sehr schön mit einer Geschichte beschrieben, ohne die Schlussfolgerungen wie wir Lutheraner zu ziehen. 1. Kön 19: 11 „Der Herr sprach (zu Elia): Geh heraus und tritt hin auf den Berg vor den HERRN! Und siehe, der HERR ging vorüber. Und ein großer, starker Wind, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, kam vor dem HERRN her; der HERR aber war nicht im Winde. Nach dem Wind aber kam ein Erdbeben; aber der HERR war nicht im Erdbeben. 12 Und nach dem Erdbeben kam ein Feuer; aber der HERR war nicht im Feuer. Und nach dem Feuer kam ein stilles, sanftes Sausen. 13 Als das Elia hörte, verhüllte er sein Antlitz mit seinem Mantel und ging hinaus und trat in den Eingang der Höhle. Und siehe, da kam eine Stimme zu ihm und sprach: Was hast du hier zu tun, Elia?“ Ein stilles, sanftes Sausen: In der Stille kann ich vernehmen, was Gott mir bedeuten will. Aber nicht ich bringe Gott dazu, sondern er schenkt sich mir und dir. Ohne dass ich dafür eine Würdigkeit und Verdienstleistung aufweisen müsste, unabhängig davon, ob ich Mitarbeiter in der Kirche bin oder nicht, ob ich Mitglied in der Kirche bin oder nicht. Ohne dass ich zuvor eine bewusste Lebensentscheidung für ihn getroffen und ihm mein Leben übergeben hätte. Ohne dies … ohne das …, weil ich nichts dazutun muss. Was aber sehr hilfreich sein kann, ist, dass ich still werde, damit ich ihn nicht in meinem geräuschvollen Leben überhöre und am Ende vorwurfsvoll sage: Du, Gott, hast mich nie gewollt. Du hast nie an meine Herzenstür geklopft.
 
Gott ist sich nicht zu fein, um sich mir zu schenken im Erkenntnisaquarium meines Geistes und meiner Seele. Und ich kann lernen von den Menschen anderer Religionen, die in ihremErkenntnisaquarium schwimmen. Darüberhinaus kann ich sie in ihrem Erkenntnisaquarium bereichern mit der Einsicht, dass Gott ein sich frei Schenkender ist, für den ich keinerlei Opfer bringen muss,um für ihn würdig zu leben … weder durch Essensrituale noch Tieropfer … auch nicht durch Einhalten bestimmter Gebetspflichten und Pilgerpflichten oder durch Geben von Spenden. Gott ist ein sich frei Schenkender. Dies ist gute reformatorische Erkenntnis, die zukunftsprägend ist. Für alle Menschen im 21. Jahrhundert, die auf dem Weg sind, um Wahrheit zu erkennen und ein lebendiges Leben zu leben. Du in mir, ich in dir. Amen.
1Oder: Die Bibel sei von Gottes Geist direkt „verbalinspiriert“, direkt diktiert in die Feder des biblischen Autors. Die Erde sei eine Scheibe und Zentrum des Universums, weil in den Psalmen steht, dass über der Erde am Firmament die Sonne morgens aufgehe und abends untergehe. Usw.usf.
 
 
 
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