Lebensbilanz
Vision
Lebensbilanz
Jak 2, 14 Meine Brüder und Schwestern, was hat es für einen Wert, wenn jemand behauptet: »Ich vertraue auf Gott, ich habe Glauben!«, aber er hat keine guten Taten vorzuweisen? Kann der bloße Glaube ihn retten? 15 Nehmt einmal an, bei euch gibt es einen Bruder oder eine Schwester, die nichts anzuziehen haben und hungern müssen. 16 Was nützt es ihnen, wenn dann jemand von euch zu ihnen sagt: »Ich wünsche euch das Beste; ich hoffe, dass ihr euch warm anziehen und satt essen könnt!« –, aber er gibt ihnen nicht, was sie zum Leben brauchen? 17 Genauso ist es auch mit dem Glauben: Wenn er allein bleibt und aus ihm keine Taten hervorgehen, ist er tot. 18 Aber vielleicht wendet jemand ein: »Hast du überhaupt Glauben?« Darauf antworte ich: Ich habe die Taten! Zeig mir doch einmal deinen Glauben, wenn du mir nicht die entsprechenden Taten zeigen kannst! Aber ich will dir meinen Glauben aus meinen Taten beweisen. 19 … 20 Du gedankenloser Mensch! Willst du nicht einsehen, dass ein Glaube, der nicht zu Taten führt, nutzlos ist? 21 Wurde nicht unser Ahnvater Abraham aufgrund seines Tuns von Gott als gerecht anerkannt – nämlich weil er seinen Sohn Isaak als Opfer auf den Altar legte? 22 Du siehst also: Sein Glaube und seine Taten wirkten zusammen; sein Glaube wurde durch sein Tun vollkommen. 23 … 24 Ihr seht also, dass ein Mensch aufgrund seiner Taten von Gott als gerecht anerkannt wird und nicht schon durch bloßen Glauben. 25...26 Genauso wie der menschliche Leib ohne den Lebensgeist tot ist, so ist auch der Glaube ohne entsprechende Taten tot. AMEN
Liebe Gemeinde,
wie muss man leben, damit man mit seinem Leben vor Gott besteht?
Ein ernstes Thema. Es hat aber eine große Leichtigkeit. Dazu gleich mehr!
Bitte überlegen Sie jetzt mal kurz: Ist diese Frage für Sie wichtig, wie Sie vor Gott dastehen?
Wenn ja ..., fällt Ihnen die eine oder der andere in Ihrem Verwandten- oder Bekanntenkreis ein, für den diese Frage auch wichtig ist?
Durch meinen Beruf kenne ich natürlich viele, die wünschen, dass sie mit ihrem Leben vor Gott bestehen. Aber in unserer Gesellschaft, die sich immer weniger religiös ausrichtet, ...in unserer Gesellschaft ist es für viele Menschen gleichgültig, wie gut sie in Gottes Augen dastehen. Gott ist in ihrem Leben nicht entscheidend, vielleicht nur eine Randfigur oder überhaupt nicht vorhanden. Ich sage dies nicht als Kritik, sondern als Beschreibung, als Feststellung. - So sie denn stimmt. Gehen wir für einen Moment davon aus. Es ist eine nüchterne Analyse.
Zu dieser nüchternen Analyse gehört auch, dass die ehemals hochaktuellen christlichen Fragestellungen vermutlich nur noch wenige Menschen heute bewegen, zu denen sich Paulus und später Luther äußerten.
Beide haben sehr deutlich vertreten (zuerst die schlechte Nachricht, danach gleich die gute): Wenn du auf deine guten Taten baust, um vor Gott mit deinem Lebensbilanzkonto nicht im Minus dazustehen, sondern im Plus, dann hast du auf Sand gebaut. Sie meinten: Auf eine verdienstvolle Weise wirst du nicht vor Gott gerecht oder gerechtfertigt sein. Das heißt: Stell dir vor, Gott ist wie ein Richter und in der Verhandlung über deine Lebensbilanz spricht dieser Richter sein Urteil und sagt „es reicht nicht, du hast nicht genügend gute Taten und Werke vorzuweisen gegenüber dem, wie du dich selbst belastet hast, wie du deine Mitmenschen und die Erde behandelt hast.“
Die gute Nachricht ist: Paulus und Luther glaubten fest daran, dass Gott ein absolut gütiger Gott ist und keine positive verdienstvolle Lebensbilanz einfordert. Er würde nur fragen: Hast du mir vertraut? Paulus und Luther nannten das damals: Du bist gerecht vor Gott durch Gnade im Glauben.
Schon zu Paulus' Zeiten gab es deutliche Kritik an dieser guten Nachricht. Eine dieser Kritiken haben wir heute Morgen in der Lesung vernommen. Jakobus schrieb: „Ihr seht, dass der Mensch aus Werken gerechtfertigt wird und nicht allein aus Glauben“. Also Vertrauen in Gott ist nicht ausreichend, es müssen gute Taten hinzukommen. Jakobus nennt dann auch Beispiele. Eines ist: Wenn jemand hungert, dann schickt ihn nicht mit freundlichen Segensworten weg, sondern gebt ihm zu essen.
Einem Hungernden Nahrung zu geben, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Aber diese Selbstverständlichkeit wurde zu Jakobus' Zeiten bis hin zu unserer modernen Zeit nicht immer beherzigt. Flüchtlinge aus dem Osten haben dies gegen Kriegsende in Westdeutschland erfahren, auch Bewohner, die in westdeutschen Großstädten ausgebombt waren und aufs Land zogen, konnten ein Lied davon singen, dass Menschen auf dem Lande halfen oder eben Hilfe ablehnten. Und unsere Diskussion über Geflüchtete ist ja auch zwiegespalten. Auf das Für und Wider will ich jetzt nicht eingehen. Das wäre ein eigenes Thema.
Worauf es mir ankommt, ist die Frage: Entscheidet unser Tun, entscheidet unsere Lebensbilanz darüber, was einmal wird mit uns? Paulus und Luther würden antworten: Gott ist so gütig, dass er unsere Lebensbilanz nicht zu unseren Ungunsten ausrechnet. Er schenkt uns nach dem Tod ein Leben in der Gegenwart seines Lichtes und seiner Liebe, weil wir ihm vertraut haben.
Aber genau dies bestreitet Jakobus, indem er fordert: Du musst auch deutlich 'was Gutes getan haben. Und unser normaler Menschenverstand pflichtet Jakobus bei. Denn unser Menschenverstand sagt: Du kriegst nur, was du verdienst. Und das stimmt ja auch. Eine Schülerin lernt fleißig für die Klassenarbeit und erhält folgerichtig eine gute Note. Oder es heißt: Strafe folgt auf dem Fuße. Ich bin unkonzentriert beim Zwiebelschneiden und schwupp ... habe ich mir in den Finger geschnitten. Funktioniert dieses 'du kriegst, was du verdienst' immer so folgerichtig?
Nein. Jemand ernährt sich gesund und treibt Sport, aber erkrankt doch sehr schwer. Und in der Bibel finden wir das Beispiel Hiobs. Er ist ein guter und gottesfürchtiger Mann, aber stürzt von einer schweren Lebenskrise in die andere. Also Ursache und Wirkung passen nicht immer zusammen nach dem Motto: Bist du gut und verhältst dich gut, geht es dir gut. Bist du eigensüchtig und heimtückisch, geht es dir schlecht. Ursache und Wirkung, Tun und Ergehen können, müssen aber nicht überein stimmen.
Wenn Sie jetzt ein Hinduist oder eine Buddhistin wären, würden Sie mir entgegenhalten: Ursache und Wirkung, Tun und Ergehen - genannt Karma - ... Ursache und Wirkung kann man nicht aushebeln. Es ist ein Weltgesetz. Wer sich nicht richtig verhält, wird wiedergeboren und muss sich von neuem beweisen; so lange bis er es schafft, dass seine Lebensbilanz das Karma aufhebt. Letztlich kriegst du, was du verdienst; im Grunde bis du verstanden hast, deine Lebensaufgabe wirklich zu erfüllen. Die Lebensaufgabe eines jeden Menschen ist im Hinduismus so formuliert: Die Aufgabe ist Gewaltlosigkeit (ahimsa) zu leben, Wahrhaftigkeit (satya), Geduld (ksanti), Selbstkontrolle (dama), Mildtätigkeit (danam), Gastfreundschaft (ahithi).
Wem es egal ist, wie er oder sie im Leben dasteht, wird sich mit diesen Gedanken nicht befassen, die ich heute vorgetragen habe. Sie oder er wird sich weder fragen, wie seine Lebensbilanz vor Gott aussieht noch vor dem Weltgesetz von Ursache und Wirkung, Tun und Ergehen. Ich glaube aber, dass sich kein Mensch seiner Lebensaufgabe entziehen kann. Irgendwann dringt die Frage ins Bewusstsein - sei es auch erst in den letzten Tagen seines Lebens vor dem Sterben, meistens jedoch bereits in der zweiten Lebenshälfte, wenn man sich fragt: Was gibt dem Streben in meinem Leben Inhalt und Sinn? Wo komm ich her und wo geh ich hin?1 -, irgendwann dringt die Frage ins Bewusstsein, was meine Lebensbilanz ausmacht und wie ich mit ihr dastehe.
Vielleicht sagt ja der eine oder die andere unter uns mit Blick auf die vergangenen Jahrzehnte des Lebens: Ich darf mit meiner Lebensbilanz zufrieden sein. Sie ist positiv unterm Strich. Bisher jedenfalls. Ich bin sogar nicht nur zufrieden, sondern auch glücklich mit ihr. Jesus würde kommentieren: Die Gesunden brauchen keinen Arzt. Mit anderen Worten: Sie brauchen keine Hilfe und müssen sich nicht noch ins Zeug legen, um vor Gott gut dazustehen.
Für alle anderen, die mit ihrer Lebensbilanz unsicher sind oder die sogar wissen, dass vor der Bilanz ein Minus steht, für sie gilt: Entweder bergen sie sich im Vertrauen auf Gott und dürfen gewiss sein, das genügt vor dem Angesicht Gottes. Oder sie gehen den Weg der steten Vervollkommnung, wie der Buddhismus und Hinduismus ihn beschreibt. Ihr Ziel ist, ihre Lebensaufgabe zu verwirklichen, Gewaltlosigkeit zu leben, Wahrhaftigkeit, Geduld, Selbstkontrolle, Mildtätigkeit, Gastfreundschaft.
Ich persönlich finde diese sechs Lebensinhalte sehr erstrebenswert und auch ganz im Sinne Jesu. Aber ich bezweifle, dass ich vor mir selbst, vor meinen Mitmenschen und vor der Schöpfung, schließlich vor Gott selbst, … ich bezweifle, dass ich genügen werde und davon ausgehen kann: Meine Lebensbilanz befindet sich so weit im Plus, dass ich zu den Gesunden gehöre, die keinen Arzt brauchen. Ich persönlich entscheide mich darum für die Sichtweise des Paulus und Luthers. Also: Ich vertraue Gott. Das genügt.
Ich finde diese gute Nachricht umwerfend schön und einfach. Sie enthält so viel Leichtigkeit. Sie ist solch ein großartiges Geschenk. Das lässt sich mit einzelnen Worten gar nicht beschreiben. Und Jesus wurde nicht müde zu erzählen, wie gütig der himmlische Vater ist. Im Gespräch mit anderen Menschen und im Dialog mit anderen Religionen dürfen wir dieses Geschenk auspacken und weiterreichen. Also: Du vertraust Gott. Das genügt.
Ja, aber … höre ich andere Menschen sagen und ebenso andere Religionsvertreter. Ja, aber … wenn das alles so einfach ist, dann tut doch niemand mehr Gutes. Dann entscheidet sich doch niemand mehr für Gewaltlosigkeit, Wahrhaftigkeit, Geduld, Selbstkontrolle, Mildtätigkeit, Gastfreundschaft.
Ich antworte darauf: Schauen wir doch einmal genau hin. Erstens: Es ist immer eine Minderheit, ob vor 3000 oder 1000 Jahren oder heute, ... es ist immer eine Minderheit, die sich entscheidet für die Lebensaufgabe, Gewaltlosigkeit zu leben, Wahrhaftigkeit, Geduld, Selbstkontrolle, Mildtätigkeit, Gastfreundschaft. Zweitens: Zu dieser Minderheit gehören besonders die Menschen, die wie Jesus auf Gott vertrauen. Sie wollen gar nicht anders, als auf Gottes Güte mit ihrer Herzensgüte zu antworten. Aus dieser Herzensgüte streben sie von selbst an, Gewaltlosigkeit zu leben, Wahrhaftigkeit, Geduld, Selbstkontrolle, Mildtätigkeit, Gastfreundschaft.
Ja, aber … höre ich andere wieder sagen. Was ist denn mit den Christen, die an den Kreuzzügen teilgenommen haben oder im KZ Juden bewacht oder hingerichtet haben? Meine Deutung wäre: Wer Völkermord begeht, kann Christsein für sich nicht beanspruchen. Und wir erleben es in unseren Tagen ja traurigerweise wieder: Selbstmordattentäter oder Attentäter aus der neuen nationalen rechten Szene sind Fanatiker, gesteuert von Ideologie und Hass. Sie leben nicht aus einem Vertrauen zu Gott.
Sondern: Gott vertrauen und Gewaltlosigkeit zu leben, das ist eine natürliche Verbindung. Gott vertrauen und Wahrhaftigkeit, Geduld, Selbstkontrolle, Mildtätigkeit, Gastfreundschaft zu leben, das verbindet sich auf natürliche Weise. Jakobus hat also insofern recht: Glaube und Gutes tun sind wie zwei Seiten einer Medaille. Er irrt jedoch, wenn er voraussetzt, dass Gott wie ein Richter über die Lebensbilanz verhandelt und ausrechnet, ob die Bilanz positiv ausfällt.
Wie schön ist es und welche Leichtigkeit hat es, dass Paulus und Luther aus den Geschichten Jesu über Gott entnommen haben: Gott ist gütig.
Du vertraust. Das ist Gott genug. Und er vertraut dir, dass du mit deiner Herzensgüte antwortest - so gut du es kannst. Amen
Pastor Skowron
1frei Töne Nr 150
Bilder: Bundesarchiv Bild 183-B0527-0001-753, Krefeld, Hungerwinter, Demonstration, Erstellt: 31. März 1947
Feder - Karin Bangwa / pixelio.de