Predigt - Kreuzkirche Lüneburg

Kreuzkirche Lüneburg
Kreuzkirche
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Predigt

Gottesdienst
Sonntag, 05.11.2023, 22. Sonntag nach Trinitatis

Mt 10, 34 Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.35 Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter.36 Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein.37 Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert.38 Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, ist meiner nicht würdig.39 Wer sein Leben findet, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird's finden.
 
 
Liebe Gemeinde,
 
 
Jesus sagt: Man kann sein Leben finden, und verliert es doch. Was ist das für ein Leben, das man gefunden zu haben glaubt? Anthony de Mello beschreibt es so: „Wir wurden zu (Lebens[1])Spezialisten darin, Anerkennung zu erheischen und wurden darauf gedrillt, alles (an uns) zu zensieren: 'Denk zweimal nach, bevor du etwas sagst, zeig bloß nicht deine Gefühle; sage das, was die anderen erwarten; denke, was die anderen denken könnten.'
 
Und alle Welt fängt an zu sagen, was die anderen denken könnten. Die Folge ist, daß niemand mehr seinen eigenen Gefühlen und dem wirklichen Leben Ausdruck geben kann.[2]  Und so hat man das Leben verloren, obwohl man glaubte, es gefunden zu haben.

Jesus sagt: Lass dieses angebliche Leben los, das doch im Grunde ein verlorenes Leben ist. Und wenn du es losgelassen hast, ersetze es durch ein Leben, das wie meines ist. Meines sieht zwar auf den ersten Blick wie ein verlorenes Leben aus, aber es ist ein wahres und erfüllendes Leben.

 
 
Hat Jesus recht, liebe Gemeinde? Ist das glaubhaft, was er behauptet? Es gibt nicht wenige Menschen, die mir gesagt haben: Ich glaube schon an Gott, aber mit Jesus kann ich nichts anfangen. Vielleicht würde der eine oder die andere unter uns hier dem zustimmen und die Meinung vertreten: Ich glaube schon an Gott, aber Jesus Christus liegt mir quer. Darum traue ich auch nicht dieser Behauptung: Wenn mein Leben so aussähe wie das von Jesus, dann würde ich richtig aufleben.

 
 
Ich bitte Sie für einen kurzen Moment um eine ganz offene, vorurteilslose Prüfung, wer Jesus war und wofür er steht. Sie verlieren dabei nichts – Sie können also bei Ihrer bisherigen Meinung bleiben -, aber es bestünde die Chance, dass Sie etwas Neues entdecken. Gehen wir ein paar Erkenntnisschritte:
 
 
Fragen wir erstens, worauf es im Leben ankommt und schauen wir, ob wir das bei Jesus finden.
 
 
Hermann Hesse sagt: Der Weg zum Erwachsenwerden hat zwei Hauptstufen. „Das Innewerden und Bewußtmachen des eigenen Ich und dann die Einordnung dieses Ich in die Gemeinschaft[3] (vor Gott). Mit anderen Worten: Ich habe die Lebensaufgabe, Ich selbst zu werden und mich in die Gemeinschaft einzubringen in Verantwortung vor Gott. Die Autorin Julia Engelmann beschrieb in einem STERN-online-Artikel über Hermann Hesse, was dieses Ich-selbst-sein auszeichnet: Jemand, die oder der sein Ich gefunden hat, ist jemand, „der weiß, was er will, der sich (nicht[4]) konventionell verhält, der Mut hat und Courage. Jemand, der gütig und durchaus gesellschaftsfähig ist, aber privat genug, das nicht den ganzen Tag raushängen zu lassen. Jemand, der sich zu schade ist, anderen hinterherzulaufen, …. jemand, der auf sich selber hört. Jemand, der Ziele hat, lebensdurstig und wissenshungrig ist. Jemand, den ein Geheimnis umgibt, weil er deutlich mehr denkt als redet. …. Diese Art von Mensch umgibt ganz offensichtlich ein Zauber.“[5]

 
 
Ich finde, Julia Engelmann hat hier wunderbar beschrieben, was es heißt, Ich-selbst zu sein und bewusst in die menschliche Gemeinschaft hinein zu wirken. Wenn es irgendjemanden auf der Welt gibt, der zu dieser Beschreibung passt – Julia Engelmann glaubt eigentlich, es gibt nicht wirklich jemanden, der dazu passt -..., wenn es denn solch einen gibt, der passt, dann ist es für mich Jesus aus Nazareth. In jeder Geschichte in den Evangelien können Sie nachempfinden, dass Jesus gütig war und Mut hatte; dass er wusste, was er wollte und niemandem einfach hinterherlief. Ihn umgab dieses Geheimnis und dieser Zauber, dass er deutlich mehr dachte als er redete und deutlich mehr Gotteserkenntnisse hatte als er in so kurzer Zeit vermitteln konnte. Er war unkonventionell, nämlich konservativ und revolutionär zugleich, und was Engelmann als lebensdurstig und wissenshungrig bezeichnet, zeigt sich bei Jesus als tiefe Weisheit; als tiefe Weisheit in Gemeinschaft mit Menschen nicht nur seinen Auftrag, seine „Arbeit“, wenn Sie so wollen, hingebungsvoll zu erledigen. Er verstand auch herzhaft zu feiern und den Moment zu genießen. Denken Sie beispielsweise an die Hochzeit zu Kana. Lebensdurst und Wissenshunger haben ihn aber auch zu einem Therapeuten und Heiler gemacht, wie selten jemand in Erscheinung getreten ist.
 
 
Fragen wir dann – zweitens - auch noch, was es kostet, erwachsen zu werden. Es kostet, Entscheidungen zu treffen und Opfer zu bringen. Hesse sagt: „Es geht nie ohne Opfer, nie ohne Fehler“.[6] Er meint, der Weg wird „durch viele moralische und andre Hindernisse erschwert.“[7] Er hat erfahren, „daß die Welt uns lieber angepaßt und gehorsam sieht als eigensinnig, daraus entsteht für jeden mehr als durchschnittlich individualisierten Menschen der Lebenskampf. Da muß jeder für sich allein, nach seinen eigenen Kräften und Bedürfnissen, entscheiden, wieweit er sich der Konvention unterwerfen oder ihr trotzen will.“[8] Nur ein konventionelles Leben könnte um den Lebenskampf herumkommen. Jesus war ein mehr als durchschnittlich individualisierter Mensch. Er hat viele moralisierende Gegner gehabt in besserwissenden Theologen und auch in Pharisäern, also den Laien unter den Gläubigen, die gleich und genau Bescheid wissen, was richtig oder falsch ist. Die haben ihm Hindernisse in den Weg gelegt und ihm den Lebenskampf bereitet, von dem Hesse spricht.
 
 
Weil Jesus selbst den Lebenskampf geführt hat, fordert er auch von seinen Nachfolgern und Nachfolgerinnen den Lebenskampf, dass sie ihr Kreuz auf sich nehmen. Im Predigttext heißt es: Wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt – man könnte auch sagen: wer nicht den Lebenskampf auf sich nimmt - und folgt mir nach, ist meiner nicht würdig. (Mt 10,38)

 
 
Liebe Gemeinde, nur mal eben zwischendurch gesagt, um den Faden nicht zu verlieren: Wir sind dabei, einige Erkenntnisschritte zu gehen, um herauszufinden, wer Jesus war und wofür er steht. Am Ende soll sich uns die Frage beantworten, ob es stimmt, dass man lebendig und sinnvoll lebt, wenn man mit der Einstellung von Jesus lebt. Wir halten fest als Fazit: Der Weg zum Erwachsenwerden hat zwei Hauptstufen. „Das Innewerden und Bewußtmachen des eigenen Ich und dann die Einordnung dieses Ich in die Gemeinschaft[9] (vor Gott). Zweitens: Es gibt kein bewusstes und erwachsenes Leben ohne Opfer; nicht ohne die Opfer, der Konvention zu trotzen, wo es geboten ist. Heute würden wir vielleicht besser das Wort Mainstream benutzen als Konvention:  Es gibt kein bewusstes und erwachsenes Leben ohne Opfer, dem Mainstream zu trotzen, wo es geboten ist.

 
 
Gehen wir nun den dritten und letzten Erkenntnisschritt. Meine Bitte bleibt, dass Sie offen und vorverständnisfrei prüfen, was Jesus für Sie bedeuten könnte. Dieser dritte Schritt befasst sich mit der Einsicht, dass Jesus Therapeut und Heiler war. Zwei seiner Methoden will ich hier darstellen.
 
 
Julia Engelmann schrieb im STERN-Artikel, dass man sich entscheiden muss, welche Gedanken man leben will. „'Nur das Denken, das wir leben, hat einen Wert', sagt Max Demian“[10] im gleichnamigen Roman von Hesse. Ohne Entscheidungen bleibt unser Leben konventionell und vermutlich auch ereignislos. Jesus wählt das Wort Schwert, um therapeutisch deutlich zu machen: Du darfst dich nicht um bewusste Entscheidungen drücken. Er sagt: Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. (V. 34)

 
Das Schwert, also die Entscheidungen, die ganz zentral und wichtig sind, sind zwei Grundsatzentscheidungen. Du musst herausfinden, wie du dich in einer guten Entfernung zu deinen Eltern und zu deinen Kindern aufstellen kannst.

 
Zunächst eine Bemerkung über das Verhältnis zu den Eltern.
 
Beate Scherrmann-Gerstetter und Manfred Scherrmann schreiben in ihrem Buch „Endlich in Frieden mit den Eltern ...“: „Das Nehmen und das Lassen der Eltern ist die Voraussetzung dafür, in einem guten Abstand zu ihnen das eigene Leben leben zu können.“[11] Du hast kein eigenes Leben, wenn du immer deinem Eltern-Ich folgst. Wenn du immer deinem Eltern-Ich folgst, bleibst du ein Herdentier. Höre auf dein Erwachsenen-Ich, das lediglich durch Eltern-Ich und Kind-Ich beraten wird. Die Entscheidung obliegt aber deinem Erwachsenen-ICH. Jesus hat die Gefahr einer zu großen Beeinflussung durch Eltern gesehen. Darum predigt er: Ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter. (V. 35) Jesus will keine Eltern schlecht machen und auch kein gutes Miteinander von Eltern und Kindern kritisieren. Er will nur erreichen, dass Menschen ihren eigenen Weg gehen und erwachsen werden. Denn Eltern haben eine gewisse Tendenz, ihre Kinder auf Geisteshaltungen oder Rollen festzulegen, die ihnen gar nicht entsprechen. In diesem Zusammenhang berichtet Hesse aufgrund eigener Lebenserfahrung: „Oft habe ich auch über meine Eltern nachdenken müssen. Die meinen, ich sei ihr Kind und ich sei wie sie. Aber wenn ich sie auch lieben muß, bin ich doch ihnen ein fremder Mensch, den sie nicht verstehen können. Und das, was die Hauptsache an mir und vielleicht gerade meine Seele ist, das finden sie nebensächlich und schreiben es meiner Jugend oder Laune zu. Dabei haben sie mich gern und täten mir gern alles Liebe. Ein Vater kann seinem Kind die Nase und die Augen und sogar den Verstand zum Erbe mitgeben, aber nicht die Seele. Die ist in jedem Menschen neu.[12] Damit diese neue Seele zu sich finden und sich entfalten kann vor Gott mit ihrer ganz eigenen Aufgabe, warnt Jesus:  Des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein. (V.36) Mit anderen Worten: Gerade deine Familie kann dich daran hindern, du selbst zu sein und der zu werden, der du vor Gott sein sollst. Nochmals: Jesus macht hier keine Eltern schlecht. Er könnte wie Hesse sagen, dass Eltern ihren Kindern sehr viel mit auf den Weg geben. Aber sie können „das Innewerden und Bewußtmachen des eigenen Ich“ ihrem Sohn oder ihrer Tochter nicht abnehmen und ersparen. Die eigene Familie wertzuschätzen – Jesus hat viel mit seiner Mutter Maria und seinem Bruder Jakobus zusammen bewirkt -, die eigene Familie wertzuschätzen, aber doch auch das Konfliktpotential in der Familie sehr deutlich zu benennen, ist eine ganz starke Seite seiner therapeutischen Fähigkeiten.

 
 
Zum Schluss eine kurze Anmerkung dazu, was Jesus therapeutisch meint, wenn er fordert: Wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert. (V. 37) Sohn oder Tochter werden von Helikopter-Eltern mehr geliebt als alles andere und damit tun Eltern ihren Kindern nichts Gutes: Sie bereiten sie nicht aufs Leben vor. Jesus spricht aber nicht nur von Kindern im direkten Sinn des Wortes, sondern ein Kind ist im jesuanischen Sinne auch das, was wir hervorgebracht und geleistet haben in unserem bisherigen Leben. Eugen Drewermann kommentiert[13]: “Und desgleichen gilt es, die eigenen 'Kinder' zu verlassen – (also) alles, was wir hervorgebracht haben; denn anders werden wir nur weiter fortfahren, unseren 'Wert' nach dem Grad der eigenen …. Produktivität zu bemessen.“ Wer seinen Wert nur nach seiner Produktivität bemisst, läuft große Gefahr, zu viel zu leisten, auszubrennen und in einer Depression zu landen, die wir heutzutage Burnout nennen.

 
 
Jesu therapeutische Grundsätze in Bezug auf die Nähe und Entfernung zur Familie sind außergewöhnlich treffend und hilfreich.
 
 
Liebe Gemeinde, ich hoffe, Sie haben wahrnehmen können, wie unglaublich aktuell Jesu Worte und Einsichten sind. Ich wünsche mir, dass Sie mit mir schlussfolgern: Jesu Leben sieht zwar auf den ersten Blick aus wie ein verlorenes Leben und ein Scheitern am Kreuz, aber es ist ein wahres und erfülltes Leben. Es enthält alle notwendigen Einsichten, die wir brauchen, um den „Weg zum Erwachsenwerden (mit) zwei Hauptstufen“ zu gehen und zu meistern: „Das Innewerden und Bewußtmachen des eigenen Ich und … die Einordnung dieses Ich in die Gemeinschaft[14] (vor Gott).

 
 
Was ist nun zu tun? Nichts ist zu tun. Denken Sie, was Sie denken. Bleiben Sie, wer Sie sind. Leben Sie dabei mit Mut, Wahrhaftigkeit, Klarheit und Konsequenz. Wenn Sie aber eine Sehnsucht spüren wie Julia Engelmann, einen Menschen kennen zu lernen, den ein Zauber umgibt, weil er im Stillen deutlich mehr weiß über das Leben als vermutlich jeder andere, dann nähern Sie sich Jesus. Amen

Pastor Bernd Skowron
 
 
 
 


   
 
[1]    Einfügung des Verfassers
[2]    De Mello: Gib deiner Seele Zeit. S. 163
[3]    H. Hesse: Leben ist Werden. S. 22
[4]    Im Text ursprünglich: postkonventionell
[5]    http://www.stern.de/panorama/julia-engelmann/das-leben-ist-kein-hesse-roman-6499160.html
[6]    H. Hesse: Leben ist Werden. S. 22
[7]    Ebd. S. 83
[8]    Ebd.
[9]    H. Hesse: Leben ist Werden. S. 22
[10]  http://www.stern.de/panorama/julia-engelmann/das-leben-ist-kein-hesse-roman-6499160.html
[11]  Beate Scherrmann-Gerstetter & Manfred Scherrmann: S. 107.
[12]  H. Hesse: Leben ist Werden. S. 10.
[13]  Zitat mit Satzumstellung – Drewermann: Das Matthäus Evangelium. Teil II. Seite 178.
[14]  H. Hesse: Leben ist Werden. S. 22
 
 
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Zusammenstellung: J.Koke


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